„Pegelturm mit Seebrücke“ von Wolfgang Christ und Klaus Bollinger (2000)
Der Pegelturm im Großen Goitzschesee ist sicherlich das bekannteste Projekt, das in der sachsen-anhaltinischen Korrespondenzregion der EXPO 2000 entstand. Gut zugänglich gelegen an der Bundesstraße 183 zwischen Halle und Wittenberg ist er Landmarke, symbolhaltiges Kunstwerk und ingenieurstechnische Herausforderung in einem.
Entwickelt wurde Turm und Seebrücke durch den Architekten Prof. Wolfgang Christ, den Ingenieur Prof. Dr. Bollinger und ihre Mitarbeiter. Projektträger waren die EXPO 2000 Sachsen-Anhalt GmbH und die LMBV Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgemeinschaft mbH. Zwischen September 1999 und Mai 2000 erfolgte die Fertigung der Bauteile und ihre Montage durch die Technischen Dienste der Espenhain GmbH. Seit der Eröffnung am 19. Juni 2000 bestiegen zehntausende Besucher den Turm.
Anders als üblich, sind Seebrücke und Turm nicht fest mit den Pfählen im Grund des Sees verbunden, sondern schwimmen auf Pontons. Die 190 Meter lange, vier Meter breite, mit Holzbohlen belegte Seebrücke trugen ursprünglich 24 Gelenkpontons aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Jeder Ponton war auf einer Seite durch einen gleitenden Stahlträger an einem Betonpfahl verankert. Da in dem losen Aufschüttmaterial der ehemaligen Tagebaukante erst in einer Tiefe von ca. zehn Metern nutzbare Gründungsschichten gefunden worden, mussten unter den Stützen lange Pfahlgründungen angeordnet werden. 2007 wurde die Brücke durch den Orkan Kyrill zerstört und 2009 mit variierter Konstruktion, aber wiederum aus Pontons neu erbaut.
Pontons sind auch unter dem Turm angeordnet. Für den Turm wurden ca. 65 Tonnen Stahl verarbeitet. Den Kern der Konstruktion bildet ein langer Stahlbetondorn mit einem Durchmesser von ca. 135 cm, der im Grund des Bodens in einem Fundament verankert wurde. Auf diesen festen Kern aufgesteckt, ist der bewegliche „Mantel“, bestehend aus einem 8 m x 8 m großen schwimmenden Stahlponton und der darauf stehenden Stahlwendeltreppe mit Plattform. Entlang des Stahlbetondorns kann der schwimmende Turm mit wechselndem Wasserstand nach oben oder unten gleiten. Im Januar 2001 erreichte infolge der Flutung des ehemaligen Tagebaulochs der Wasserspiegel Brücke und Turm und hoben sie allmählich empor. 293 Stufen führen zu der Aussichtsplattform 26 Meter über dem Wasserspiegel. Nur die Plattform und der oberste Abschnitt der Wendeltreppe besitzen ein massives Eisengeländer. Die darunter liegenden Windungen der Treppe werden ausschließlich von einem feinen Stahlnetz ummantelt, sodass die Besucher das aufregende Gefühl haben können auf einer geländerlosen Steg in der Höhe auf- und abzusteigen. Von der Plattform bietet sich eine weiter Ausblick über den Goitzschessee, Bitterfeld, Friedersdorf, Mühlbeck, Pouch und bei guter Sicht bis zum Völkerschlachtdenkmal in Leipzig.
Wie auch andere LandArt-Projekte in der rekultivierten Tagebaulandschaft Goitzsche bildet das Ensemble symbolisch die Veränderung der Landschaft ab, die erst von Tagebaubaggern gehäutet, zerfurcht und zerlöchert wurde, um nun mit der Bepflanzung und der Flutung der Restlöcher ab 1999 wieder belebt und eingeebnet zu werden. Zunächst auf der schrägen Kante des noch trockenen Tagebaurestlochs errichtet, wurden Brücke und Turm mit der Flutung in einem mehrjährigen Prozess vollendet durch das Wasser der Mulde, indem es mit Erreichen des Zielpegels der Brücke ihre beabsichtigte Erscheinung und dem Turm seine Höhe in der Landschaft gab. Sie wurden zum Sinnbild für die Umwandlung der Tagebaulandschaft in ein Naherholungsgebiet.
Der Turm möchte aber auch ein „Seezeichen“ setzen, ein ungewöhnliches, schönes, nicht dem Gewinnstreben dienendes Monument sein. „Neue Zeichen braucht das Land“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bei Eröffnung. Doch sollte, nach den Erläuterungen des Architekten Wolfgang Christ, der Aussichtsturm der Goitzsche kein weiteres landschaftsprägendes Machtzeichen in der Tradition pharaonischer Pyramiden, herrschaftlicher Türme und hoher Konzernzentralen werden, sondern bauliches Abbild einer offenen, von allen Menschen mitgestalteten, demokratischen Gesellschaftsform. Der Architekt sah sie in dem offenen Raum der geländerlosen Treppen verwirklicht und in der Dynamik des Schwimmturms: Durch die Bewegungen der Besuchenden wird er je nach Belastung und Rhythmus zum Schwingen gebracht. Die Menschen schaffen sich ein „kinetisches Erlebnis“ und gestalten dadurch das Bauwerk mit. Wechselnde Beleuchtungsinstallationen verwandelten Brücke und Turm zudem seit seiner Errichtung in nächtliche Lichtkunstwerke. So wurde zudem der Turm im Juni 2020 als große Kerze im See inszeniert.