Die Familie Richter ist eine alteingesessene Handwerker- und Händlerfamilie in Bitterfeld.
Anfang des 19. Jahrhunderts betrieb Tuchmachermeister Johann August Richter an der Ecke Ratswall/Grünstraße eine Tuchmacherei und Brandweinbrennerei. Bereits für die 1830er Jahre ist ein Verkaufsraum in seinem Haus in der „grünen Gasse“ überliefert. Hier bot Johann August Richter auch Tabakwaren an.
Als Johann August Richter starb, übernahm 1852 sein Sohn, Karl Albert Richter, das Geschäft. Er entschied, die Tuchmacherei nicht fortzusetzen, da dieses Gewerbe mit Beginn der industriellen Tuchproduktion zunehmend unrentabel wurde. Auch die Brandweinbrennerei wurde aufgegeben. Stattdessen baute Karl Albert Richter den Laden aus und begann als Großhändler andere Geschäfte zu beliefern.
1871 übernahm der gerade 19jährige Albert Richter nach dem Tod seines Vaters die Leitung des Unternehmens. Albert Richter baute die Großhandlung aus. 1890 begann er mit einer eigenen Sauerkohlherstellung. Verkauft wurden auch Schmalz und Speck aus Amerika und weitere Lebensmittel, v.a. Zucker, Reis und Heringe. Insbesondere in den 1880er und -90er Jahren basierte das Geschäft auf dem Handel mit Petroleum, das Albert Richter aus Amerika importierte. Für Petroleum gab es zu jener Zeit einen großen und wachsenden Markt. Es war als Lampenöl unverzichtbar und selbst nach Erfindung der Glühbirne wurde es für Ölöfen gebraucht. Albert Richter war einer der ersten, der das Petroleum in Holz-, statt in Eisenfässern importierte. So konnte er die Transportverluste erheblich verringern und seine Gewinne steigern. Das Geschäft wuchs und Albert Richter entschied sich im Alter von etwa 50 Jahren zum Neubau seines Geschäftshauses (siehe Tafeln 2 und 3). Der Neubau am Ratswall wurde im Frühjahr 1904 fertiggestellt. Hier betrieb Albert Richter, der schon zuvor unter anderem „frisch gebrannten Café“ verkauft hatte, eine große Kaffeerösterei und eröffnete damit 1904 einen neuen Hauptgeschäftszweig in seinem Unternehmen.
Das Kaffeegeschäft unter der Firmenmarke „Kaffee Tee Albert Richter Bitterfeld“ machte das Unternehmen für mehrere Jahrzehnte bekannt.
Ab 1921 war Albert Richters Sohn Friedrich Richter Teilhaber der Firma. Der Richtersche Betrieb wuchs rasch. 1925 wurde im Hof ein großes Lagergebäude errichtet (siehe Tafel 2). 1927 konnte ein zweites, großes Kaffeegeschäft in der Walter-Rathenau-Straße eröffnet werden. 1936 entstand ein Neubau an der gegenüberliegenden Ecke zwischen Ratswall und Grünstraße.
Am 5. Juni 1939 starb Albert Richter. Friedrich Richter, der schon einige Jahre zuvor die Betriebsführung übernommen hatte, führte das Geschäft in den kommenden schweren Jahren weiter. Die Kriegsjahre und schließlich die Nachkriegsjahre unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen schwächten das Unternehmen so sehr, dass das Kaffeegeschäft in der Walter-Rathenau-Straße 1949 geschlossen und 1951 der Großhandel aufgegeben wurde. Nach dem Tode Friedrich Richters 1958 schloss auch das Einzelhandelsgeschäft im Haus Ratswall 22.
1976 wurde die Gebäude Ratswall 22 und Grünstraße 12 an den Staat verkauft und dem VEB Gebäudewirtschaft Bitterfeld als Rechtsträger übergeben (vgl. Tafel 5).